Von Stehaufmännchen lernen
Wie Sie Ihre Widerstandskraft in der Corona-Krise steigern.
Psychische Widerstandsfähigkeit ist wichtig, um in schwierigen Situationen, wie etwa in der aktuellen Corona-Krise, nicht aus dem Tritt zu geraten. Sonderpädagoge Christian Schmarbeck erklärt, wie Lehrkräfte ihre Widerstandskräfte stärken können.
Frage: Der ehemals erfolgreiche prominente Koch Attila Hildmann ist ein Beispiel für einen Menschen, der während der Corona-Krise plötzlich zum Verschwörungstheoretiker und Fanatiker geworden ist. Wie beurteilen Sie die Widerstandsfähigkeit von Menschen, die aufgrund eines äußeren Umstands plötzlich ein ungewohntes Gesicht zeigen?
Schmarbeck: Vorab: Ich habe Verständnis dafür, dass Menschen mit den Corona-Maßnahmen nicht einverstanden sind. Ich glaube, es ist politisch am Anfang misslungen, diesen Menschen und ihren Argumenten einen Raum zu geben.
Sprechen wir über Widerstandsfähigkeit. Ich glaube, es gelingt diesen oben angesprochenen Menschen mit ihren Reaktionen, die Situation für sich gut zu bewältigen. Die Muster, die sie wählen, sind aber häufig nicht gesellschafts- und gruppenkompatibel. Damit einhergeht vielleicht auch eine Wahrnehmungsstörung. Etwa in dem Sinne, dass wenn der innere Kompass auf Verschwörung eingestellt ist, man plötzlich auch Beweise dafür entdeckt. So ähnlich wie schwangere Frauen plötzlich überall Babys sehen.
Frage: Wissenschaftler beschreiben mit dem Konzept Resilienz die psychische Widerstandsfähigkeit eines Menschen. Die Corona-Krise ist eine Situation, auf die Menschen unterschiedlich reagieren. Einige werden zu Querdenkern, zu Besserwissern oder zu Mitläufern. Woran kann das liegen?
Schmarbeck: In der Theorie zur Resilienz gibt es Risiko- und Schutzfaktoren, die den Menschen prägen. Diese Faktoren sind aufgeteilt in geburtliche und vorgeburtliche Faktoren, die das Verhalten beeinflussen.
In einer Krisensituation verstärkt sich das wie unter einem Brennglas. Wenn man beispielsweise schon immer Verschwörungstheorien spannend fand, ist man jetzt eher geneigt, Beweise dafür zu suchen. Und hat man diese dann gefunden, schickt das Gehirn eine Belohnung in Form von guten Gefühlen.
Frage: Was ist eine gute Reaktion im Sinne der psychischen Gesundheit? Wie wird man zum Stehaufmännchen?
Schmarbeck: Allen Menschen tut es in einer Krise gut, sich in einer Gemeinschaft einzufinden, sich aufgefangen zu fühlen. Ein Umfeld, das unterstützt und signalisiert, du bist wertvoll, auch wenn du anderer Meinung bist.
Wenn nötig, sollten Konflikte angesprochen werden. Das ist wichtig, damit die Seele Ruhe hat und die Situation so annehmen kann, wie sie ist. Unterschiedliche Meinungen sind in Ordnung. Trotzdem ist es ist notwendig, die gemeinschaftlichen Regeln einzuhalten und diese nicht mutwillig zu zerstören.
Frage: Herr Schmarbeck, inwiefern treffen Sie bei Ihrer eigenen Arbeit auf das Thema Resilienz und psychische Widerstandsfähigkeit?
Schmarbeck: Beim Thema Leistungsrückmeldungen beispielsweise. Die Palette der Reaktionen reicht hier vom inneren Widerstand der Lernenden bis zu Erklärungs- oder Entschuldigungsversuchen bis zu denen, die stark reflektieren.
Ich arbeite ja mit Erwachsenen. Einige von ihnen fühlen sich persönlich angegriffen, wenn sie eine schlechte Note bekommen. Da fehlt dann die Differenzierung. In diesen Fällen ist es wichtig, zu erklären, dass diese Rückmeldung nichts mit ihnen als Mensch zu tun hat.
Frage: Die Resilienzforschung besagt, dass vor allem die ersten Lebensjahre für die Widerstandsfähigkeit wichtig sind. Kann denn ein Erwachsener noch etwas tun, um diese Kraft zu stärken?
Schmarbeck: Die Fähigkeit zur Resilienz hängt von meinen Erfahrungen ab. Die Erfahrungen beeinflussen die Wahrnehmung. Wenn man eine geringe Resilienz hat, nimmt die innere Brille eher das Negative wahr und konzentriert sich darauf. Es kann daher tatsächlich herausfordernd sein, positive Vorgänge wahrzunehmen und richtig einzuordnen. Die Wahrnehmung auf gute und stärkende Ereignisse zu lenken, können aber auch Erwachsene trainieren.
Frage: Was sind gute Methoden im beruflichen Alltag, um die Resilienz zu stärken?
Schmarbeck: wie gerade schon angemerkt, hat Resilienz viel mit Optimismus zu tun. Eine schöne Übung ist die folgende: Man steckt sich morgens zehn Kaffeebohnen in die rechte Tasche und immer, wenn etwas Schönes passiert, wandert eine Bohne in die linke Tasche. Eine andere klassische Methode ist es, ein Glückstagebuch zu führen. Also aufzuschreiben und damit festzuhalten, wenn etwas Gutes passiert. Das Prinzip dahinter lautet, sich darüber klar werden, wenn etwa Gutes passiert.
Das kann zum Beispiel auch schon sein, dass heute kein Konflikt mit einem Schüler stattfand, der sonst immer brodelt. Warum ist es nicht passiert? Habe ich anders reagiert oder anmoderiert? Das verschafft ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und verstärkt das Bewusstsein, dass – innerhalb eines Rahmens – Abläufe steuerbar sind. Und das ist sehr zufriedenstellend.
Hilfreich können außerdem kurze Achtsamkeitsübungen, die in den Alltag eingebaut werden. Zum Beispiel ein Innehalten, um die eigenen Körperregionen im Geiste abzuscannen.
Frage: Welche Methoden werden schon angewandt und welche sollten mehr angewandt werden?
Schmarbeck: Es gibt einzelne Schulen, die Achtsamkeit üben. Das könnte man stärker in die Fläche bringen.
Frage: Gibt es Unterstützung aus der Verwaltung, um in schulischen Kollegien psychische Resilienz zu fördern?
Schmarbeck: Nein, es gibt keine Unterstützung. Wir müssen in der Schule um die grundlegendsten Dinge kämpfen. Es wäre schon ein Schritt, wenn Lehrkräfte Supervision angeboten bekommen würden. Wenn sie kostenlos wäre und nicht in der Freizeit besucht werden müsste. In jedem anderen pädagogischen Bereich ist das selbstverständlicher Standard.
Hilfreich wäre es auch, wenn Teambuilding für Kollegien zum Standard gehören würden. Sich von seinen Kollegen aufgefangen zu fühlen, ist eine wichtige Erfahrung, die auch die Resilienz stärkt. Dabei hat man die Möglichkeit, sich außerhalb der Rolle als Lehrkraft kennenzulernen, das Einzelkämpfertum zu verlassen. Bekommt Gelegenheit, Unstimmigkeiten zu klären. Es verschafft ein sicheres und gutes Gefühl, wenn die Kolleginnen und Kollegen die eigenen Stärken und Schwächen kennen und das in Ordnung finden.
Frage: Wie können Lehrkräfte die Resilienz von Schülerinnen und Schülern stärken – beispielsweise?
Schmarbeck: Das steht unter der Überschrift „positive Beziehungen gestalten“. Lehrerinnen und Lehrer sollten ihren Schülern zeigen: Ich mag euch, es ist gut, dass ihr da seid. Das kann ganz banal im Alltag sein etwa indem man sich öffentlich bedankt für etwas, das der oder die gemacht oder gesagt hat. Konstruktive Rückmeldungen zu Lernfortschritten sind ein weiterer wichtiger Baustein. Oder spezielle Übungen wie „warme Duschen“, bei denen einem Teilnehmenden nur positive Rückmeldungen gegeben werden dürfen.
Unterstützend kann auch ein Perspektivwechsel sein. Wir als Lehrkräfte treffen häufig Entscheidungen aufgrund von eigenen Wahrnehmungen. Wir sollten in der Lage sein, das zu hinterfragen, und auch die Sichtweise der Schülerinnen und Schüler einnehmen. Das drückt Wertschätzung, Respekt und Anerkennung aus.
Über den Interviewpartner
Christian Schmarbeck arbeitet in der Ausbildung von Erzieherinnen und Erzieher, Sozialpädagogen am Berufsbildungszentrum Kreis Plön. Er ist seit 2019 Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung Schleswig-Holstein und ausgebildeter Sonderschullehrer. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist Resilienz und die Frage, wie Menschen es schaffen, mit Schwierigkeiten und Herausforderungen in ihrem Alltag umzugehen.
Was ist Resilienz?
Resilienz baut auf einem gesunden Selbstbewusstsein und einer optimistischen Grundhaltung auf. Wer über ein hohes Maß an Resilienz verfügt, verfügt über die Befähigung, Krisen zu meistern und sich nach Niederlagen wieder aufzurappeln, und begreift Rückschläge vielleicht sogar als Chance. Menschen, die diese Fähigkeiten besitzen, können sich außerdem gut an Veränderungen anpassen.
Stärkung der inneren Widerstandsfähigkeit
Glückstagebuch führen – Halten Sie schwarz auf weiss fest, wenn etwas Gutes in Ihrem Leben geschieht. So können Sie den Blickwinkel auf diese Dinge in Ihrem Leben lenken.
Bohnen zählen – Stecken Sie sich morgen einige Bohnen in die rechte Tasche. Immer, wenn im Laufe des Tages etwas Gutes passiert, wandert eine Bohne von der rechten in die linke Tasche.
Achtsamkeitsmeditation – Lernen Sie, auf sich selbst und ihren Körper zu hören, indem Sie innehalten und Ihre Körperregionen und -empfindungen im Geiste abscannen.
